DER SONNE NACH Banater durchreisen, entdecken, erleben die Welt Nikolaus Berwanger: JONNY[sic!] WEISSMÜLLER Olympiasieger und Tarzandarsteller pg. 31: Tarzan, der bärenstarke Urwaldmensch mit den übernatürlichen Körpermaßen und dem edlen Charakter hat sich in den letzten fünfzig Jahren als der dauerhafteste Filmheld der Welt erwiesen: von den Pioniertagen der Kinematographie über Stumm-, Ton- und Farb- bis zu Kinemaskope-Filmzeiten hat er seinen Platz behauptet. Nur die Darsteller wechselten - über zwanzig sind es bisher. Immer wieder tummelten sie sich im Urwald, schwangen sich von Baum zu Baum, stießen Schreie aus und waren gut zu den Tieren des Dschungels. Andererseits haben sie noch alle Löwen, Tiger, Gorillas, Rhinozerosse, Krokodile, Schlangen und Riesenspinnen besiegt, die ihnen zu Leibe rückten, und oft genug auch ihr Urwaldrevier verlassen, um auf Ozeandampfern, in der Sahara, in Indien, Mexiko, London oder gar im Asphalt-Dschungel van New York, für Metro-Goldwyn-Meyer, Paramount oder Century-Fox zu streiten. "Geboren" wurde Tarzan - es ist ein Wort aus der "Affensprache" und bedeutet "Weißhaut" - 1912. Sein "Vater", der Amerikaner Edgar Rice Burroughs, Sohn eines Schnapsbrenners aus Chikago, war damals siebenunddreißig Jahre alt, und ein Mann, der vorher zahlreiche Berufe ausgeübt hat. Er war nämlich Soldat, Hausierer und Buchhalter, Viehtreiber und Goldschürfer, Vertreter für Bleistiftspitzer und Verkehrspolizist gewesen. Da ihm aber alles daneben zu gehen schien, hielt er sich selbst für einen Versager. pg. 32: Bis er eines Tages, im Jahre 1912, eine Geschichte schrieb, für die er nicht nur 700 Dollar erhielt, sondern mit der er bald weltweiten Erfolg hatte. Es war die Geschichte von Tarzan, dem Urwaldmenschen! Das Leserecho war so groß, daß der über Nacht zum umjubelten Erfolgsautor gewordene Burroughs immer neue Geschichten um Tarzan ersinnen mußte. Als er, 74jährig, 1950 auf seiner kalifornischen Tarzan-Ranch nahe der Stadt Tarzana im Lehnstuhl starb, war er ein reicher Mann, der eine ganze Tarzan-Industrie ins Leben gerufen hatte. Bis an sein Lebensende erschienen 57 Romane, die in 58 Sprachen übersetzt wurden, weit über 50 Millionen Bücher wurden verkauft und rund 40 Filme gedreht. Die Burroughs-Incorporated verbreitete Tarzans Legenden auf Schallplatten und in einer Funkserie von 364 Kurz-Hörspielen. Tarzan wurde zum Markenzeichen für Unterwäsche, Armbanduhren, Badehosen, Spielwaren, Hosenträger, Kaugummi, Kaffee und Speiseeis, ja, es gab sogar Tarzan-Brot! Doch zurück zum Film! Der berühmteste Tarzan-Darsteller war zweifellos der 1904 im Temeswarer Vorort Freidorf geborene Meister-Schwimmer Jonny Weißmüller. Er schlüpfte aber erst 1933 in Tarzans Haut. Die Tarzan-Filmgeschichte begann mit dem heute nahezu unbekannten amerikanischen Darsteller Elmo Lincoln. Er war Tarzan Nummer 1 in dem 1918 gedrehten Streifen "Tarzan of the Apes" ("Tarzan von den Affen"), der vor einem begeisterten Broadway-Publikum lief. Zehn Jahre später, nach sieben weiteren Stummfilmen, artikulierte er seinen ersten Kampfruf, einen synthetischen, Schrei aus verschiedenen Soundtracks, der später noch perfektioniert wurde: Er enthält neben der menschlichen Stimme Kamelblöken, Hyänen-Geheul, Hunde-Knurren und Geigengewimmer auf der G-Saite. pg. 33: Die Geschichte der über zwanzig Tarzan-Darsteller ist eine Geschichte des Hollywood-Films schlechthin. Elmo Lincoln, der den Anfang machte, repräsentierte einen anderen Typ und eine andere Zeit als der Olympiasieger Jonny Weißmüller, und der Ex-Freidorfer repräsentierte einen anderen Typ und eine andere Zeit als Lex Barker, Hollywoods Supermann und Ex-Gatte von Lana Turner, der 1948 in die Tarzan-Stapfen seiner zahlreichen Vorgänger trat. Doch eines hatten die Tarzan-Darsteller alle gemeinsam: Sie waren - Supermänner! Nebst Weißmüller kam auch Buster Crabbe, ebenfalls ein Erfolgsschwimmer, aus dem Olympialager. Und Herman Brix, Gewichtstemmer bei den Olympischen Spielen 1928, der sich später unter dem Namen Bruce Bennett zum geachteten Charakterdarsteller mauserte. Dem vierfachen Olympiasieger Jonny Weißmüller konnte allerdings keiner das Wasser reichen: Mit zwölf Filmen - gedreht in den Jahren 1933 bis 1948 - hält er den absoluten Rekord. Nicht nur seine Muskel-Mann-Fähigkeiten haben ihm zu diesem Rekord verholfen. Vielmehr begann Jonny Weißmüllers Karriere mit dem zweifelhaften Kompliment: "Sie haben das dümmste Gesicht, das ich jemals gesehen habe!" Der Regisseur, der 1932 den Film "Tarzan, der Affenmensch" vorbereitete und einen neuen Darsteller suchte, meinte das durchaus positiv. "Ich kann für diese Rolle niemanden brauchen, der zivilisiert aussieht", soll er angeblich Weißmüller erklärt haben. "Haben Sie krumme Beine?" soll er außerdem gefragt haben. Weißmüller verneinte. "Dann ziehen Sie Ihr Hemd aus!" Der mächtige Ex-Schwimmer riß sich das Hemd vom Leib - und hatte gewonnen! "So ein Brustkorb ist selbst von einem echten Orang-Utan nicht zu schlagen", staunte der Regisseur. "Sie sind mein Tarzan!" Der berühmteste Tarzan der Welt war geboren. pg. 34: Meine Großmutter ist äußerst selten und auch dann nur am Sonntag ins Kino gegangen. Als jedoch seinerzeit in Temeswar der erste Tarzan-Film rollte, ging sie, was bis dahin und auch nachher nicht vorgekommen ist - sogar werktags ins "Tivoli". Die Erklärung: sie war Freidorferin, und der "Dschungel-König" Jonny Weißmüller ihr Landsmann. Gleich nach dem zweiten Weltkrieg, als von neuem Tarzans gruselige Abenteuer mit Riesenschlangen, Krokodilen oder Elefanten - wirklich atemberaubend waren auch die wild-katzenartigen Sprünge mittels armdicker Schlingpflanzen sowie die gefahrvollen Unterwasseraufnahmen, die übrigens zu den ersten in der Filmgeschichte gezählt werden können - die Kinobesucher zwei Stunden lang buchstäblich in Bann hielten, erinnerte sich meine Großmutter: "Na, aach mir sein jo frieher geloff, wann de Weißmüller gspielt hot. Er is halt a Kind aus unsrem Dorf. Nor gut, daß ehm nie was passiert ist. Wie gschwind hätt er kenne runnerfalle un sichs Gnack absterze, wann er so an dene dicke Urwaldpflanze wie an am Strick ghong hat. Ich hob immer an sei Motter un sei Vater denke misse. Die han sicher aach viel Angst ausgstann." Aus diesen in echt Freidorfer Mundart gesprochenen Worten klingt zweifellos Bewunderung und Stolz. Doch nicht nur meine Großmutter und ihre Generation hatten für ihren berühmten Landsmann etwas übrig. Die Freidorfer, die inzwischen Städter geworden sind, da das einstige Dorf längst als Stadtrandviertel zu Temeswar gehört, sind es auch heute noch. Fast so stolz wie auf das 250jährige Bestehen dieser Siedlung. Ein Dreikäsehoch, den ich auf der Straße anhielt und fragte, ob er wisse, wer Jonny Weißmüller sei, antwortete mir schnippisch: "Weiß doch jedes Kind, daß der Tarzan einer der Unseren ist!" Noch vor fünf Jahren war die Freidorfer Abstammung des bärenstarken Urwaldmenschen allerdings nicht so selbstver- pg. 35: -ständlich. Viele zweifelten daran und setzten alle möglichen Gerüchte über sein Geburtsjahr und seine Herkunft in Umlauf. Wieder entbrannt ist die Diskussion in der Zeit als unser Fernsehen in der Kindersendung die Reihe "Tarzans Abenteuer" brachte. Sein Ruhm war eben noch nicht verblaßt; Jonny Weißmüller war schließlich der Berühmteste unter den Supermännern, die sich als Tarzan versucht hatten. Neugierig, ob all das, was ich über Tarzan aus meine Kindheit wußte, stimmt oder nicht stimmt, begann ich seiner "Fährte" nachzuspüren. Es war übrigens gar nicht so kompliziert, die Tarzan-Fährte zu finden. In Freidorf leben sein Vetter Jakob Weißmüller und dessen Schwester sowie zwei alte Männer, die in ihrer Jugend in Amerika waren und bei den Tarzan-Eltern ein und ausgegangen sind, ja man kennt sogar das Haus, in dem er das Licht der Welt erblickte. Von einem der Rentner erfuhr ich, daß, der kleine Jonny schon als Zehnjähriger ein auffallend guter Turner war. Einmal soll er es zum größten Schreck seiner Eltern sogar fertig gebracht haben, über den gedeckten Mittagstisch zu springen, was ihm natürlich weniger Ruhm als vielmehr Tadel eingebracht hat. Geboren ist er am 2. Juni 1904 in Freidorf. Ich sah es schwarz auf weiß in den Matrikeln der örtlichen Pfarrei. "Als Sohn des Tagelöhners Peter Weißmüller und der Elisabeth, geborene Kersch", ein Name, der in Freidorf auch heute noch verbreitet ist. Allerdings hieß er noch nicht Jonny sondern, dem damaligen Brauch entsprechend János, während seine Eltern ihn zeit ihres Lebens Hansi genannt haben sollen. Über die Eltern des vierfachen Olympiasiegers und Hollywood-Stars erzählt mir Tarzan-Cousin Jakob Weißmüller: pg. 36: "Mein Vater hatte noch drei Geschwister, und alle vier waren hier in Freidorf Ziegelei-Arbeiter. Die Familie War aus der Heide, aus Warjasch, in die Stadtnähe gezogen. Wie das vor dem ersten Weltkrieg in den Banater Kleinhäuslerfamilien eben üblich war, ging für gewöhnlich der Älteste in die weite Welt, um Arbeit zu suchen. So fuhr mein Onkel Peter samt Frau und dem kleinen Hansi, dem späteren Jonny, über den großen Teich. Mein Vetter war damals drei Jahre alt. Ich war noch nicht auf der Welt. Zum erstenmal von sich reden gemacht hat Jonny Weißmüller im Jahre 1924 bei den olympischen Spie1en in Paris, und seither ist der Name des Freidorfer Kleinhäuslersohns in jeder Geschichte der olympischen Spiele mit fetten Lettern vermerkt. Der zwanzigjährige Hüne, dessen wie in Marmor gehauene Gestalt später die Hollywood-Manager das große Geschäft wittern ließ, erschwamm sich drei Goldmedaillen (100 Meter, 400 Meter und 4X200 Meter) und legte dabei als erster Mann der Welt die 100 Meter unter einer Minute (59 Sek.) zurück. Vor nicht zu langer Zeit ist bereits eine Frau diese Strecke unter einer Minute geschwommen. Für die damalige Zeit aber war es eine regelrechte Weltsensation. Gleichzeitig spielte der begabte Sportler in der Wasserball- -Mannschaft der USA, die Bronzemedaillen-Gewinner war 1928, bei den olympischen Spielen in Amsterdam: Jonny Weißmüller bleibt der schnellste Schwimmer der Welt! Er legt die 100 Meter nochmals in Rekordzeit zurück und war somit einer der ersten, die bei zwei Olympiaden Gold in Empfang nehmen konnten. Bald gingen die ersten Tarzan-Filme über die Leinwand und der im Temeswarer Stadtrandviertel Freidorf geborene Olympiasieger war ein gefeierter Filmstar. Seine Popularität ist auch heute noch nicht verblaßt. Die erwähnte Reihe un- pg. 37: -seres Fernsehens hat es von neuem bestätigt, obwohl man es diesmal mit dem gealterten Tarzan zu tun hat, der an jugendlicher Kraft schon viel eingebüßt hat. Aber wie seinerzeit während der berühmten Dschungel-Streifzüge setzte er sich auch diesma1 immer wieder für das Gute ein und auch seine Liebe zu den Tieren ist nicht erlahmt. Dafür ein Argument: der Affe Thamba! My Comment: Berwanger wrote the English first name badly [Jonny instead of Johnny].